liebling.


willkommen in temeswar! ich begrüße eine gruppe wiener frauen, die nach neun stunden autofahrt endlich hier angekommen sind.
fünf frauen, pensionierte und bald pensionierte. graublond, weißgrau, hellgrau, dunkelgrau, silber. ulli, gudrun, helga, martina, eva.
ich schließe sie gleich ins herz. zeige ihnen in den nächsten tagen als stadtschreiber die stadt.
essen im weißen pferd. eine intensive stadttour mit benny. essen im lloyd. abends romeo & julia als wortloser tanz.
sonntag: kirchweih in bakowa.

bin kein schwabe
kein banater schwabe
bin kein sachse
siebenbürger sachse
kein landler

zipser
sagen sie
sei ich
weil meine muttersprache diese färbung
dieser dialekt, oder sprache sich in mein hirn und von dort sich mir auf die zunge gelegt. darf nur eins sein. bestehe doch aus den anderen sprachen auch.

stehe in der mittagssonne. den schwarzen regenschirm gespannt.
wir warten auf den trachtenumzug der banater deutschen, die ihre heimattage feiern.
werde es nie verstehen. dieses faible für trachten. werde ich nie verstehen.
finde es befremdlich. diese brauchtumspflege.
auch in regionen, in denen niemals wirklich tracht getragen. deutsche tracht. und damit meine ich bei uns.

die einzige tracht, in der ich meine mutter jemals gesehen, auf einem foto gesehen als junge frau, war in maramurescher tracht. mit weißer bluse und im rot schwarz gestreiften rock. dazu kopftuch. weiße spitzenschuhe an den füßen.
meine großmutter kenne ich nur elegant im kostüm und mit hut wie die queen.
oder im hauskleid oder in kittelschürze.

toll. ulli ist begeistert. lässig das alles. wie sie flanieren. da flanieren in ihren trachten. sie grinst. freut sich. ich sträube mich. doch sie erzählt mir tracht darf lässig sein. erzählt mir von ihrem gekreppten roten irokesenschnitt und ihren rosa und gelb gesprayten fallschirmspringer-schnürstiefeln zum dirndl.
damals in den 80ern.


darf das alles nicht so ernst nehmen. nicht immer das völkische, die wiederbelebung dieser tradition unter den nationalsozialisten mitdenken.
ist tradition. und solange man diese reflektiert, darf das. darf dies alles.
dieser seltsame aufmarsch. die blasmusik. das geschrei.
männer marschieren in zweierreihen in schwarzer tracht mit geschmückten hüten zur schule. um die „mädchen” abzuholen. die jungen frauen in ihren trachtenkleidern, die ihre frauenkörper verformen, zu glocken formen.
schaue mir diese kleider genauer an. denke tracht ist doch was modernes, das alt daherkommt. was so tut als sei es alt dahergekommen.
jahrhunderte alt. alles, was da so tut als sei es jahrhunderte alt, ist
plastikspitze.
genauer geschaut: plastikspitze made in china, leicht entflammbar und luftundruchlässig und schweißperlenfördernd.
also das hat die ur ur ur ur großmutter sicher so nie getragen.
der trachtenzug formiert sich neu. es wird jetzt paarweise defiliert.
von der schule immer mann und frau zusammen. in zweierreihen.
von der schule in zweierreihen die abgesperrte dorfstraße entlang, erst rauf, dann runter. immer mit blasmusik und gejohle in die kirche.
manchmal auch zwei frauen miteinander.
all dies wirkt so konservativ. so unendlich konservativ.
doch versuche ich alles mit einem neuen blick zu betrachten.
die männer mit ihren schön geschmückten blumenhüten vorhin in zweierreihen nebeneinander. die zwei frauen, die nebeneinander.
könnten auch paare sein.
warum nicht? nur weil der heteronormative blick mir etwas anderes sagt?
weil der heteronormative blick uns seit jahrhunderten das aufdrückt.
der mir sagt, das darf nicht. ich darf das darin nicht lesen. weil die männer gehen ja die frauen abholen.
doch: männer aufgeputzt, wohlriechend in ihren schwarzen trachten und weißen hemden mit blumengeschmückten hüten nebeneinander zur blasmusik.
männer in zweierreihen.
blasmusik.
und weil wohl nicht genügend männer vorhanden, dürfen, nachdem immer männlein weiblein zusammenfinden sollen für die schöpfung natürlich,
dürfen diese beiden frauen auch nebeneinander. weil weibliche sexualität ohne männer ohnehin nicht stattfinden kann.
weil wenn zwei frauen nebeneinander flanieren, der heteronormative blick diese beiden frauen sowieso nur als „gute freundinnen” sieht. niemals als paar.

diese glockenkörper der frauen. stehen links hintereinander in der kirche jetzt.
die männer auf der anderen seite.
stehen während des ganzen gottesdienstes. neben den reihen in der mitte.
ein mädchen steht dem kollabieren nahe an ihren vater gelehnt. kann sich nicht setzen. kann sich nur an den vater oder an die stuhllehne lehnen. erschöpft gesellt sich ihre jüngere schwester dazu.
ziehen die schuhe aus. es hat über dreißig grad, die sonne brennt.

DANK und EHRE
1786-2011
225 Jahre Bakowa

auf einer steintafel. der kreuzweg an den wänden sieht genauso aus wie jener in der katholischen kirche meines geburtsortes.
wo mittlerweile auch jedes jahr so ein fest gefeiert wird. und alle anreisen. in ihren trachten. in ihren österreichischen und bayrischen. gekauften trachten.
beim zipsertreff. wo ich auch stand. mit meinem in franken gekauften trachtenhemd. weil ich auch so etwas besitze, nachdem ich einmal auf einer trachtenhochzeit gewesen.

                                                                                 
auf dieser steirischen hochzeit auf einem schloss in lederhose und trachtenhemd. standen wir alle versammelt in tracht.
und sollten nun mit erhobenem arm in richtung brautpaar zeigen.

nach dem gottesdienst trinken wir kaffee in der kleinen spielhalle, die gleichzeitig café und kneipe ist. beschließen weiterzufahren.
fahren nach nitzkydorf, also nițchidorf. zu herta müllers geburtshaus. zum haus ihrer kindheit. das jetzt lila gestrichen ist. wo die tafel wieder angebracht.

Foto: Gudrun Wlach

În această clădire s-a născut în 17 august 1953 și a copilărit scriitoarea Herta Müller (leaureată a Premiului Nobel pentru literatură in 2009).

als ich das letzte mal hier
war nur ein schatten der tafel übrig, auf der heute steht:
in diesem gebäude wurde herta müller (nobelpreisträgerin für literatur 2009) am 17. august 1953 geboren und hat hier ihre kindheit verbracht.

störche klappern oben auf dem betonpfeiler neben dem haus. das storchenpaar hat junge.
wir werden begleitet. stumm begleitet von einer frau, die neben uns ihr fahrrad schiebt. nicht mit uns spricht. einfach nur neben uns geht. eine romafrau.
wir steigen in die autos.
wollen nach liebling. fahren durch flaches weites land.
links und rechts felder. weiter horizont. es weht kühl. in der ferne schon der sturm. wie jeden tag mittlerweile. um eine bestimmte uhrzeit ein regenguss.

in liebling halten wir. machen fotos vom ortsschild. mit dem ortsschild.
die erste evangelische ortschaft im banat. hier wurden unter joseph II protestanten angesiedelt. der ort sollte nach nikolaus freiherr von vecsey benannt werden, der ablehnte und gesagt haben soll: nein, er soll liebling heißen, denn die protestanten sind meine lieblinge.
im zweiten weltkrieg flohen die lieblinger in den westen, gelangten nach österreich. weitere einhundert menschen wurden 1945 von hier in russische arbeitslager deportiert. wo die hälfte von ihnen starb.

bald wird es regnen. bald werden unsere handys wieder diesen unangenehmen warnlaut von sich geben. also schnell zurück nach temeswar.

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